Vom 23.03. bis zum 07.04.2011 fand die zweite Reise der Filmgruppe nach Israel statt. Die Reise sollte vor allem dazu dienen, die während der ersten Reise geführten Interviews zu den Lebensgeschichten unserer ProtagonistInnen durch Bebilderungen zu bereichern.
So fingen wir mit der Kamera vornehmlich Alltagssituationen im Kibbuz ein und begleiteten unsere ProtagonistInnen zu Orten in- und außerhalb des Kibbuz, die ihnen wichtig waren und sind. Zudem wurden manche inhaltliche Punkte, die wir in den Interviews aus der ersten Reise besonders spannend fanden, weiter vertieft, etwa die Kindererziehung im Kibbuz oder auch Fragen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Neben der Aufnahme aktueller Bilder, vervollständigten wir auch unsere historische Bebilderung. So verbrachten wir mehrere Stunden im von Joav Bursteins Frau Sarah geführten Archiv des Kibbuz Ma'abarot und erkundeten die privaten Fotosammlungen unserer ProtagonistInnen nach Bildern aus Europa und den Anfangstagen des Kibbuz.
Während wir bei unserer ersten Reise Bekanntschaft mit dem sehr ernsthaft begangenen jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana machten, fiel die aktuelle Reise auf einen fröhlicheren Feiertag: Purim – das jüdische Pendant zum Karneval. Dieser wird im Kibbuz traditionell mit einem ausgelassenen Kostümfest im Gemeinschaftsraum gefeiert. Wir hatten das Glück, dass unser erster Drehtag auf Purim fiel und wir so auch diese Seite des Kibbuz kennen lernen durften. Doch bevor wir unsere Kamera aufbauten, begonnen wir unseren Aufenthalt mit einem Abendessen mit Zvi Cohen im Speisesaal. Im Gegensatz zur ersten Reise, als wir bei unserer Ankunft noch nicht richtig einzuschätzen wussten, wie das Leben in einem Kibbuz abläuft und uns vieles Neu war, hatten wir dieses Mal das Gefühl, an einen uns sehr vertrauten Ort zurückzukommen. Der herzliche Empfang von Zvi Cohen und die vielen bekannten Gesichter im Speisesaal verstärkten diesen Eindruck. Die älteren BewohnerInnen des Kibbuz saßen bei der Purimfeier etwas abseits von der Tanzfläche, tranken Kaffee und unterhielten sich. Dort sollten wir dann auch alle unsere ProtagonistInnen treffen, die im Laufe des Abends nach und nach eintrafen. Dies war ein tolles Gefühl für uns, die Menschen, zu denen wir mittlerweile ein beinahe-freundschaftliches Verhältnis entwickelt hatten, wieder zu treffen und eine schöne Einstimmung auf die nächsten Drehtage. Nachdem die ältere Generation sich langsam auf den kurzen Nachhauseweg gemacht hatte, nutzten wir die Gelegenheit, um auch einmal die KibbuzbewohnerInnen in unserem Alter kennen zu lernen und mit ihnen bis in die frühen Morgenstunden zu feiern.
Die darauf folgenden Tagen nutzten wir dann für kleinere, situative Interviews, die wir mit unseren ProtagonistInnen in der nähren Umgebung des Kibbuz, etwa den anliegenden Feldern oder dem neben Ma'abarot vorbei fließendem Alexanderbach, führten.
So erzählten uns etwa Hanni Aisner und ihr Mann Shlomo beim Pique-Nique am Bach, wie der Ausfluss des Alexanderbaches ins Meer verstopfte und so zu einer Art Tümpel wurde, in dem sich viele Malaria übertragende Mücken sehr wohl fühlten. Der Kampf gegen die Malaria war so in den ersten Jahren des Kibbuz eine der dringendsten Aufgaben. Sie berichteten uns aber auch von Ausflügen, welche sie mit ihren Kindern entlang des Baches unternahmen. Da die Zeit, welche die Eltern mit ihren Kindern verbringen konnten, – durch die viele im Kibbuz zu erledigende Arbeit oder aufgrund des hohen Zeitanteils, den die Kinder in ihren eigenen Kindergruppe verbrachten – begrenzt war, wurden diese Stunden der Freizeit von den Eltern wie Kindern als besonders intensiv wahrgenommen.
Ora Lahisch und Hanni Aisner erzählten uns besonders eindrücklich von ihrer Arbeit auf dem Feld. Trotz des Gleichheitsideals der Kibbuzbewegung war es früher nicht üblich, dass die Frauen dieselbe Arbeit wie die Männer verrichteten. Die Männer wurden meist für die „harte“ Arbeit auf den Feldern, beim Bau, etc. eingeteilt, während die Frauen hingegen meist im Kinderhaus oder in der Küche arbeiteten. Beide Frauen hatten jedoch mehr Spaß an der Feldarbeit im Freien und schilderten uns ihren durchaus harten Kampf, den sie auf den Kibbuzversammlungen austragen mussten, um zu diesen Arbeiten eingeteilt zu werden.
Einen ganz besonderen Ausflug machten wir mit Zvi Cohen. Er führte uns in sein – nach Eigenaussage – zweites Zuhause, das unweit von Ma'abarot gelegene Beit Terezin im Örtchen Givat Haim. Im Beit Terezin (zu deutsch: Haus Theresienstadt) ist die 'Stiftung zur Erinnerung der Märtyrer von Theresienstadt' beheimatet. Dort werden verschiedene Arbeiten verrichtet, um die Erinnerung an das Ghetto wach zu halten und seine schreckliche Geschichte an die jüngeren Generationen weiterzugeben. So gibt es eine Dauerausstellung mit einem im Boden eingelassenen Mosaik, welches eine Karte von Theresienstadt darstellt und verschiedene Sonderausstellung zum dortigen kulturellen und sportlichen Leben. Beit Terezin ist aber auch ein Ort für die Überlebenden des Ghettos. So werden dort über das Jahr verteilt verschieden Erinnerungsveranstaltungen durchgeführt, bei deren Gelegenheit sie zusammenkommen können. Während unseres Aufenthalts wurden beispielsweise gerade die Feierlichkeiten aus Anlass des 50. Jahrestags des Eichmannprozesses vorbereitet, bei welchen auch Zvi sprechen sollte. Zudem verfügt Beit Terezin über eine padägogische Abteilung, bei der regelmäßig Schulklassen und andere Gruppen zu Gast sind. Auch hier sprechen regelmäßig Überlebende, um ein lebendiges Zeugnis der Geschichte der Judenvernichtung in Europa abzulegen. Weiterhin beherbergt die Stiftung ein Archiv, in dem die Namen aller 162.000 zwischen 1941 und '45 im Ghetto Theresienstadt inhaftierten Jüdinnen und Juden zu finden sind.
Am letzten Tag organisierten wir eine Gruppendiskussion zwischen allen unseren ProtagonistInnen, in der sie über die Zukunft der Kibbuzbewegung im Allgemeinen und Ma'abarot im Besonderen diskutierten. Die brennendste Frage der Kibbuzbewegung, von der auch maßgeblich ihre Zukunft abhängen wird, ist die der Privatisierung und ihrer wirtschaftlichen Lage. Ma'abarot hat die in den 70er Jahren notwendig gewordene Transformation von der landwirtschaftlichen Agrarproduktion hin zu modernen Industrien als Haupteinnahmequelle nach Meinung aller Versammelten gut gemeistert und steht auch dank seiner guten Lage in der Mitte des Landes - zwischen Haifa und Tel Aviv - wirtschaftlich gut da und ist somit gut für die Zukunft gewappnet. Mehr Sorgen bereitet aber der auch in Ma'abarot langsam einsetzende Privatisierungsprozess, der droht die Kollektivideale der früheren Kibbuzbewegung nahezu vollständig aufzuheben. Solange es ihnen noch möglich ist, wollen sie sich dagegen wehren, so die einhellige Meinung unserer Kibbuzniks.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir auf unserer zweiten Reise das bereits aus der ersten Reise vorhandene, reichhaltige Material sinnvoll ergänzen konnten. Gerade durch die vielen Alltagssituationen, aber auch durch das neugewonnene historische Material, sind wir zuversichtlich, mit dem Film das Leben unserer ProtagonistInnen, als Beispiel das Schicksal vieler JüdInnen im 20. Jahrhundert, anschaulich darstellen zu können. Da mit dieser Reise die Dreharbeiten abgeschlossen sind, gilt es nun - mit der noch stärker gewordenen Vorfreude auf das Endprodukt - auch das neue Material zu bearbeiten und den Film zu schneiden.
Die Gruppe Docview im Juli 2011
Weitere Bilder der zweiten Reise finden sich in der Galerie.