Das Bewusstsein zur vermutlich letzten Generation zu gehören, die noch selbst mit Verfolgten des Nationalsozialismus sprechen kann, lässt es umso wichtiger erscheinen, ein möglichst lebendiges Dokument dessen entstehen zu lassen, um auch bei nachfolgenden Generationen die Erinnerung wach zuhalten.
Unser Dokumentarfilm "Erhobenen Hauptes. (Über)Leben im Kibbuz" wird sich deswegen an den Erzählungen und Biografien der Menschen im Kibbuz Ma'abarot orientieren und ihre Lebensgeschichten in den Mittelpunkt stellen. Die Kibbuznikim dort haben viel zu erzählen – von ihrer Zeit in Deutschland, ihrem Überleben, den ersten Jahren in Palästina und auch von ihren Einstellungen und Gedanken zu den Kibbuzim und dem heutigen Israel.
Die Kibbuz-Bewegung ist filmisch bisher noch wenig beleuchtet, eine Lücke, die wir ausfüllen möchten. Denn es ist uns wichtig, die ProtagonistInnen des Films nicht nur als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung zu befragen, sondern auch als Menschen, die sich mit Hoffnungen und Ideen für ein Leben im Kibbuz entschieden haben. Uns interessiert vor allem, was der Aufbau und das Leben in Ma'abarot nach den Verbrechen der Shoah für sie bedeutet hat und welche Einflüsse sie auf die Gestaltung und den Lebensalltag im Kibbuz hatten.
Ma'abarot liegt im Norden Israels an der alten Verbindungsstraße zwischen Petah Tikva und Haifa. Er wurde 1925 von Mitgliedern des linken Flügels der zionistischen Jugendbewegung"Hashomer Hatzair" aus Rumänien gegründet.
Aus Bulgarien, Ungarn, Deutschland, Russland und Chile kamen von da an Jüdinnen und Juden, um Ma'abarot aufzubauen und ein neues Leben in Palästina zu beginnen. Im Gepäck den Traum von Israel als Heimat und Schutzraum der verfolgten Juden aus der Diaspora.
In seinen Anfängen war Ma'abarot sozialistisch organisiert. Im Kibbuz gab es kein Geld, keine Polizei und auch die israelischen Wahlen fielen hier mit hundert Prozent für die linke Partei Mapamaus. Bis heute hat sich der Kibbuz einige dieser Ideale und Lebensformen bewahrt. Ma'abarot ist ein Ort, an dem sich die Geschichte Europas, des Nahen Ostens und der Diaspora spiegelt. Die älteren Kibbuznikim können diese Geschichte anhand ihrer eigenen erzählen, können darlegen, aus welchen Gründen sie nach Israel kamen und ein sozialistisches Kibbuz aufbauten –welche Hoffnung sie damit verbanden.
Über die Widerständlerin Irmgard Heydorn und die Überlebende Trude Simonsohn wurde der Projektgruppe der Kontakt nach Ma'abarot vermittelt und wir wurden eingeladen, den Kibbuz zu besuchen. In einer Reise von Mitgliedern der Gruppe nach Israel entwickelte sich so ein erster Kontakt zu den Kibbuznikim, die wir für den Film ausführlich interviewt haben.